Ende Dezember 1943 wurde auf deutscher Seite deutlich, dass der von Hitler für den Jahreswechsel angesetzte Termin für den Beginn der Bombardierung Südenglands mit der neuen Vergeltungswaffe nicht zu halten war. Die neuen optimistischsten Schätzungen der Rüstungsbetriebe prognostizierten, dass eine ausreichende Zahl einsatzfähiger V1 nicht vor März 1944 bereitgestellt werden konnte. Außerdem verzögerte sich die Produktion der Walter Abschuss-Katapulte (Walter WR 2,3 Schlitzrohr-Schleuder) bis zum Januar 1944, genügend Katapulte waren erst für Ende Februar 1944 in Aussicht gestellt worden. Als neuen realistischen Termin für den Beginn des Fernkampfes mit den V1 Flug­körpern wurde nun der Juni 1944 anvisiert. Somit wurde allen Beteiligten auf deutscher Seite klar, dass die bereits bis Ende Dezember 1943 erstellten und von den Alliierten identifizierten Abschussbasen noch einem monatelangen Bombardement der alliierten Luftflotten ausgesetzt sein würden, bis ausreichend Flugkörper und Abschusskatapulte verfügbar gemacht werden konnten.

Die nun regelmäßigen Bombenangriffe der Alliierten konnten allerdings bei weitem nicht den erhofften Grad der Zerstörung erzielen, dafür waren die Anlagen in ihren Ausmaßen doch zu klein und stellten daher insbesondere für die Nachtangriffe des britischen Bomber Command nur schwer zu treffende Ziele dar. Trotz dieser Misserfolge und Schwierigkeiten der angloamerikanischen Bomberverbände wurde der weitere Ausbau der Anlagen dennoch wirksam unterbunden, denn die von der Organisation Todt zwangsrekrutierten franz. Arbeiter desertierten aufgrund der ständigen Luftangriffe zu Tausenden, sodass Anfang Januar 1944 nur noch 2 % der benötigten Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Damit war das Bauprogramm praktisch zum Stillstand gekommen.

Im Laufe des Januar 1944 wurden daher erste Pläne für ein neues Bauprogramm entworfen, das eine weitaus einfachere, leichtere und aus der Luft nicht mehr so leicht identifizierbare Bauweise zum Gegenstand hatte. Die in ihrer endgültigen Version nur noch zwei feste Bauwerke (Rampe und Richtplattform) aufweisenden neuen V1 Stellungen (sogenannte Einsatz-Stellungen) wurden ab März 1944 vor allem in unmittelbarer Nähe französischer Bauernhöfe errichtet, die nun sowohl dem deutschen Personal als Unterkunft als auch zur Aufbewahrung des benötigten Materials dienen mussten.

Bis zum 6. Juni 1944 waren auf dem Cotentin acht Stellungen alter Bauart und 30 Stellungen neuer Bauart (Einsatz-Stellungen) entweder fertiggestellt oder noch im Bau, keine dieser Einrichtungen war zu diesem Zeitpunkt jedoch einsatzbereit oder konnte gar einen einzigen Flugkörper in Richtung Südengland abfeuern.

Auf dem Cotentin sind heute noch Überreste von zahlreichen Stellungen zu finden. Der Aufbau der Stellungen der ersten Generation, d.h. Stellungssystem I, umfasste folgende 11 Komponenten:

Abschussrampe: Rund 48 m lang, mittlere Steigung von 6%, am Ende der Rampe in Abhängigkeit vom Gelände circa 5 m hoch. Die Rampe war an der Startseite auf dem Hauptfundament verankert, sie stand auf mehreren Stützen aus Metall, die im Erdreich mit Zementfüßen befestigt waren. Rampen in Stellungen der ersten Generation besaßen beidseitig massive Wände aus Betonstein. Die Rampen mussten in Richtung des zu beschießenden Zieles ausgereichtet sein.

Kommandobunker: Stand in der Nähe der Rampe, meist im Boden eingebettet.

Skibunker: In ihnen wurden die fertig montierten V1 gelagert. Länge 80 m, am offenen Ende gekrümmt, um Schutz gegen Bombensplitter, Druckwellen und bei Tiefliegerangriffen Schutz gegen Bordwaffenbeschuss zu bieten. Die Krümmung ließ die Bunker auf Luftaufnahmen wie ein J oder ein Ski aussehen. In der Regel befanden sich drei solcher Bunker auf Anlagen der ersten Generation. Aufgrund der leichten Identifizierung dieser Bunker aus der Luft wurden bei den ab März 1944 gebauten leichten Anlagen (Einsatz-Stellungen) auf die Skibunker verzichtet.

Richtgebäude: In diesem Gebäude wurde der Kreiselkompass der V1 überprüft und justiert. Um eine einwandfreie Nordung des Kompasses zu gewährleisten, durften sich in dem Gebäude selbst sowie im Umkreis von 30 m keinerlei eisenhaltige Objekte befinden. Der Résistance nahe stehende fran­zösische Zwangsarbeiter, die von der Organisation Todt zum Bau der Anlagen der ersten Generation eingesetzt wurden, versuchten häufig die Richtgebäude zu sabotieren, indem sie im Richtgebäude Eisennägel ein­betonierten.

Lagerbunker: Für die Zwischenlagerung angelieferter Bauteile, in der Regel langgestreckt, gerade und in unmittelbarer Nähe der Zufahrtsstraße gelegen.

Montagegebäude: Zur Montage der angelieferten, vorgefertigten Bauteile und Baugruppen der V1.

Maschinenhaus: Hier lagerte der Druckluftkompressor, mit dessen Hilfe Druckluft in zwei kugel­för­mige Behälter der V1 eingespeist wurde. Die Druckluft wurde für die Steuerung der V1 bei Kurskor­rek­turen benötigt.

Stofflager: Hier lagerten Betriebsstoffe für das Startaggregat sowie Calciumpermanganat und Wasserstoffperoxyd, letztere mussten in getrennten Räumen gelagert werden.

Bunker für Zünder: Hier wurden die drei in der V1 verbauten Zünder aufbewahrt (mechanischer und elektrischer Aufschlagzünder sowie der mechanische Langzeitzünder).

Wasserreservoir: Zum Löschen sowie zur Kühlung und Dekontaminierung.

Zisterne und Pumpstation: Befand sich kein Bach in unmittelbarer Nähe der Anlage, dann musste auf­grund des hohen Wasserverbrauches das Grundwasser hochgepumpt und gelagert werden.

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