Noch am Abend des 17. Juni widerrief Hitler die Erlaubnis, die Kampfgruppe von Schlieben könne unter Druck kämpfend nach Cherbourg zurückweichen. Der neue Befehl sah vor, dass von Schliebens Kampfgruppe nur bis auf die Linie St-Vaast de la Hogue – Le Thiel – Landfront Cherbourg - Vauville zurückweichen durfte, diese neue Front war bis zum letzten Mann zu halten. Diese Linie erstreckte sich über nahezu 50 km von der Ost- bis zur Westküste des Cotentin und war dreimal so lang wie die Verteidigungslinie bei Montebourg, die von Schliebens Truppen gegenwärtig nur noch unter äußersten Anstrengungen halten konnten. Dies alles machte keinen Sinn, denn bei einem Durchbruch des VII Corps zur Westküste konnten die Amerikaner anschließend ungehindert nach Nordosten in Richtung Cherbourg vorstoßen und die neue, viel zu lange und löchrige Frontlinie der Kampfgruppe von Schlieben leicht durchbrechen.

Die Führungsspitze der 7. Armee interpretierte das Zugeständnis Hitlers gegenüber der Kampfgruppe von Schlieben daher recht großzügig und entschied, dass nun auch die 77. ID umgehend in den Süden in den Raum La Haye du Puits verlegt werden musste. Noch am Abend des 17. Juni erteilte Generalleutnant Rudolf Stegmann, Kom­mandeur der 77. ID, seine Befehle an seine Kommandeure. Das GR 1049 unter Oberst Bacherer sollte sich vom Raum Magneville über die Douve nach St-Jacques-de-Néhou durchschlagen und sich dann weiter in den Raum nördlich la Haye du Puits absetzen. Die restlichen Divisionstruppen sowie vor allem das AR 177 unter Oberst Stolten­berg sollten dagegen versuchen, sich auf weiter westlich liegenden Routen nach Süden durchzu­kämpfen. Neben den Einheiten der 77. ID wurde auch den beiden schweren motorisierten Artillerie-Abteilungen 456 und 457 unter Oberstleutnant Seidel der Befehl erteilt, sich in Rich­tung Süden abzusetzen. Am Abend des 17. Juni wurde bekannt, dass Generalleutnant Hellmich, Kommandeur der Kampfgruppe Hellmich, bei einem Tieffliegerangriff bei Canville-la-Rocque getötet worden war. Mit dem Tode Hellmichs verlor die Kampfgruppe Hellmich ihren kommandierenden General, das Chaos an der Westfront des Cotentin war nun perfekt.

Bereits im Morgengrauen des 18. Juni versuchten Teile des Infanterie-Regimentes 1049, 77. ID, auf ihrem Rückzug nach Süden die Linien des wenige hundert Meter nördlich von St-Jacques-de-Néhou in Stellung gegangenen 1st Bn, 39th IR, zu durchbrechen. Nachdem die Amerikaner im Laufe des Gefechtes bis in den Ort zurückgedrängt worden waren, traten sie nach einem vorbereitenden Artillerieschlag zum Gegen­angriff an, in dessen Folge die deutschen Truppen hohe Verluste erlitten und mehr als 2 Km bis auf das Nordufer des schmalen Baches Scye zurückgedrängt wurden. Dort organisierte sich der deutsche Kampfverband neu und stieß weiter in westlicher Richtung vor, um an einer weniger stark verteidigten Stelle erneut den Durchbruch nach Süden zu versuchen.

Im Laufe des 18. Juni wurde der Kommandeur der 77. ID, Generalleutnant Rudolf Stegmann, beim Versuch, die Marschkolonnen seiner Division im Raum südlich von Bricquebec zu organisieren, durch einen Angriff amerikanischer Jagdbomber überrascht und tödlich verwundet. Stegmann war damit inner­halb von 12 Tagen nach General­leutnant Wilhelm Falley (91. ID), General der Artillerie Erich Marcks (LXXXIV. Armee-Korps) und Generalleutnant Heinz Hellmich (243. ID) der vierte General des LXXXIV. Armee-Korps, der seinen Dienst für Führer, Volk und Vaterland mit dem Leben bezahlen musste. 

Ebenfalls im Laufe der Nacht des 18. Juni stieß das 1st Bn, 60th IR, auf seinem Verstoß in Rich­tung Höhe 133 auf eine deutsche Artillerie-Batterie, die nach Süden durchzubrechen versuchte. Nach kurzem Gefecht ergaben sich die hoffnungslos unterlegenen deutschen Artilleristen und übergaben den Amerikanern ihre unzerstörten Geschütze. Ein weiterer deutscher Treck näherte sich aus Richtung Bricquebec kommend der Höhe 145. Es handelte sich um Infanterie- und Artillerieeinheiten der 77. und 243. ID, die in weit auseinander gezogener Marschformation auf der heuti­gen D902 in Richtung Barneville-sur-Mer unterwegs war. Die auf der Höhe 145 liegenden US-Einheiten forderten Unterstützung des nachrückenden 60th Field Artillerie Battalion an und lenkten das Feuer der 10,5 cm Geschütze, das die deutsche Kolonne, die auf der schmalen Straße nicht manövrieren und Kehrt machen konnte, erbarmungslos zusammenschoss. Mehr als 35 zerstörte LKWs, Halb­kettenfahrzeuge und PKWs sowie 10 Geschütze wurden zerstört.

Der einzige Durchbruch von nennenswerter Größe gelang am 19. Juni einer 1.200 – 1.400 Mann starken Kampfgruppe unter Oberst Bacherer (GR 1049, 77. ID), dessen Kampfgruppe unter Mitführung von circa 250 gefangenen Amerikanern und 12 Jeeps eine Brücke über den Fluss Ollande bei St-Lô-d´Ourville unter ihre Kontrolle gebracht hatte und sich zu den deutschen Linien südlich des Flusses durchschlagen konnte. An der Brücke hatten Teile des 357th IR am Vormittag des 19. Juni Einheiten des 47th IR abgelöst und sich später von dem Vorstoß der deutschen Kampfgruppe überraschen lassen.  

Nachdem der Durchbruch der Amerikaner nach Barneville-sur-Mer und damit die Durchtren­nung des Cotentin vollzogen war, bezogen die verbliebenen zahlenmäßig schwachen Kontingente der 77., 243. und 91. ID, denen es gelungen war, sich noch rechtzeitig nach Süden abzusetzen, eine neue Linie, die begin­­nend an der Bucht von Portbail über die Niederungen des Baches la Rivière, entlang der Südseite der Prairies de Marécageuse - Bois des Limors – St-Jores bis zu den Sumpf­gebieten der Marais des Gorges reichte, wo Anschluss an das FJR 6 und die 17. SS-Panzergrenadier-Division hergestellt werden konnte. Diese Frontlinie konnte sich in den kommenden Tagen stabilisieren, da die Amerikaner im Norden des Cotentin mit dem Vorstoß auf Cherbourg beschäftigt waren.

Landfront Cherbourg
Landfront Cherbourg

Die in der Karte schwarz eingezeichnete Linie stellt die im Halbkreis um Cherbourg ausgebaute Landfront Cherbourg dar. Die Landfront Cherbourg bestand aus circa 90 Widerstandsnestern, mit deren Bau bereits im Herbst 1942 begonnen worden war. Auf diese Stellungen sollten sich die deutschen Verbände langsam zurückziehen. Die rote Linie zeigt die neue, von Hitler am 17. Juni angeordnete, 50 km lange Verteidigungsfront, die nun die Gruppe von Schlieben verteidigen sollte.

Durchbruchversuche der 77. ID nach der Abtrennung des Cotentin
Durchbruchversuche der 77. ID nach der Abtrennung des Cotentin

Teile der 77. ID versuchten vor der Abtrennung der Nordhälfte des Cotentin nach Süden durchzubrechen (rote Pfeile). US-Truppen schlugen Durchbruchversuche bei St-Jacques-de-Néhou, Barneville-sur-Mer und nördlich der Höhe 145 zurück. Einzig einer 1.200 Mann starken Kampfgruppe unter Oberst Bacherer gelang der Durchbruch bei St-Lô-d´Ourvilles. 

zurück                                                               -24-                                                                        weiter