Major General Collins war sich bewusst, dass er hier vor einer besonders schwierigen Situation stand, die nur durch eine besonnene Vorgehensweise zu lösen war. Collins musste die richtige Balance zwischen Diplomatie und Androhung von Waffengewalt finden, um die Deutschen zur Aufgabe zu bewegen. Andernfalls könnte es womöglich Wochen dauern, bis die Forts erobert waren und der Hafen von Cherbourg von Minen geräumt werden konnte.

Informationen der französischen Untergrundbewegung nach war davon auszugehen, dass das auf der östlichen äußeren Hafenmole „Digue de l´Est“ gelegene Fort Pelée aufgrund seiner isolierten Lage wohl am ehesten zur Kapitulation zu bewegen sei. Am Nachmittag des 27. Juni wurde Major Johnson, Kommandeur des 1st Bn, 12th IR, damit beauftragt, das Fort einzunehmen. Während US-Artillerie und Jagdpanzer das Fort Pelée beschossen, organisierte Major Johnson einige Segelboote, mit denen er und einige ausgewählte Männer durch das verminte Hafengelände hinüber zum Fort Pelées segeln konnten. Als das Bombardement zu Ende war, näherte sich Johnson jedoch zunächst dem Fort Pelée auf der zum Fort führenden schmalen Landzunge und versuchte die Deutschen über einen Lautsprecher zur Aufgabe zu bewegen. Mehrere deutsche Offiziere verließen daraufhin das Fort und signalisierten, dass sie zur Kapitulation bereit seien, allerdings nicht bei Tageslicht, sondern erst nach Einbruch der Dunkelheit. Man wollte sich nicht dem Vergeltungsfeuer aus den anderen drei Forts auf der Digue Centrale aussetzen. In der Nacht auf den 28. Juni evakuierten Major Johnsons Männer mit Hilfe von Schlauchbooten 45 Deutsche, die das Fort zuvor mit erhobenen Händen verlassen hatten.

Nun wollte Johnson auch die Garnison des Fort de l´Est zur Aufgabe bewegen und ließ Lichtsignale in Richtung des Forts morsen. Es erfolgte jedoch keine Reaktion seitens der belagerten Deutschen. Später stellte sich heraus, dass sie den Morsecode nicht lesen konnten. Am Morgen eröffnete daraufhin eine Batterie 10,5 cm Geschütze das Feuer auf das Fort, um einen Angriff mit Infanterie vorzubereiten. Nach dem Bombardement sollten Männer des 12th IR mit Schlauchbooten das minenverseuchte Hafengebiet durchfahren und die drei Forts auf der Digue Centrale angreifen. Dieses Vorhaben wurde von den Deutschen jedoch rechtzeitig entdeckt. Nach wenigen Minuten mussten die in ihren Schlauchbooten dem einsetzenden deutschen MG-Feuer schutzlos ausgelieferten und um ihre Leben paddelnden Amerikaner den Angriff erfolglos abbrechen. Major General Collins schlussfolgerte nun, dass die deutschen Garnisonen der Forts auf der Digue Centrale nur durch ein schweres Artilleriebombardement von Land, von See und aus der Luft zur Aufgabe gezwungen werden konnten.

Noch in der Nacht auf den 29. Juni begann das Bombardement von Land in dessen Verlauf das Fort Central einen Volltreffer in die Munitionskammer erhielt und in Flammen aufging. Britische und amerikanische Kriegsschiffe gingen während der Nacht außerhalb des Hafens in Position, um auf Befehl mit ihren schweren Geschützen die Nordseite der Forts von See aus zu beschießen. Darüber hinaus organisierte Major General Collins einen Luftangriff, der um 11:00 am Morgen des 29. Juni stattfand. Nach Beendigung des Luftangriffes hisste die Besatzung des Fort de l´Ouest die weiße Fahne, der durch Granatsplitter verwundete Fregattenkapitän Witt und seine Männer ergaben sich. Witt gab später zu Protokoll, dass der Apparat, mit dessen Hilfe die Zündung des Minenfeldes vorgenommen werden sollte, durch einen Granatsplitter zerstört worden war und daher weiterer Widerstand zwecklos war.

Somit endeten mit der Kapitulation der drei Forts auf dem Digue Centrale am Nachmittag des 29. Juni auch die Kämpfe um den Hafen Cherbourg. Fregattenkapitän Hermann Witt wurde übrigens für seinen anhaltenden Widerstand bei den Kämpfen um den Hafen von Cherbourg noch am 27. Juni das Deutsche Kreuz in Gold und am 24. September 1944 das Ritterkreuz verliehen. Auch Konteradmiral Hennecke, Seekommandant Normandie, wurde noch am 26. Juni für die Zerstörung des Hafens von Cherbourg von Hitler mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet.

Hitler war begeistert als er über das Ausmaß der Zerstörungen unterrichtet wurde. In der Tat waren die Verwüstungen im Hafengebiet erheblich. Über 20.000 Kubikmeter Gestein, Schrott und andere sperrige Materialien waren in die inneren Hafenbecken gekippt worden, in jedem Becken waren kleinere Schiffe versenkt worden, die Zugänge zu den Hafenbecken waren zudem durch zwei versenkte Frachtschiffe blockiert. Das gesamte Hafengebiet war darüber hinaus vermint worden. Der Seebahnhof (Gare Maritime) des Hafens war völlig verwüstet, Pioniere hatten einen mit 35 Tonnen Sprengstoff gefüllten Güterzug auf dem Gare Maritime in die Luft gejagt. Die Deutschen, die mit den Vorbereitungen für die Zerstörung des Hafens bereits am 10. Juni begonnen hatten (Generalfeldmarschall von Rundstedt hatte eine dementsprechende Anweisung schon am 9. Juni erteilt), hatten ganze Arbeit geleistet. Bereits am 24. Juni waren die Zerstörungen und Sprengungen weitgehend abgeschlossen, der Seebahnhof Gare Maritime wurde jedoch erst in letzter Minute am Abend des 25. Juni gesprengt.

Im Gegensatz zu Fregattenkapitän Hermann Witt und Konteradmiral Hennecke wurde Generalleutnant Wilhelm von Schlieben in der Heimat mit Kritik und Anschuldigungen überzogen. Hitler bezeichnete von Schlieben als armseligen Kommandeur, der sein eigenes Schicksal über das der Heimat und des Reiches stellte und ignorierte dabei völlig, dass man in deutschen Planspielen vor der Invasion für die Verteidigung von Cherbourg drei kampfstarke Infanterie-Divisionen als notwendig erachtet hatte. Von Schlieben hatte dagegen nur die abgekämpften Reste dreier Divisionen zur Verfügung, insgesamt nicht mehr als 2.000 – 3.000 völlig erschöpfte und demoralisierte Infanteristen (darunter zwei Ost-Bataillone, die von Schlieben zu der Aussage verleiteten, dass: „….man von Russen und Ukrainern nicht erwarten konnte, dass sie mit Hingabe auf französischem Boden gegen die Amerikaner für das 3. Reich kämpften“. Der Rest der insgesamt rund 20.000 Mann, die Generalleutnant von Schlieben bei der Verteidigung Cherbourgs befehligte, setzte sich zu weiten Teilen aus kampfunerfahrenen Personal der Luftwaffe, Kriegsmarine, Organisation Todt usw. zusammen.

Hitler schäumte nach dem schneller als erwarteten Verlust von Cherbourg vor Wut. Daraufhin befahl Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des OKW, den Kommandeur der 7. Armee, Generaloberst Friedrich Dollmann, vor einem Kriegsgericht zu den Gründen für den überraschend schnellen Verlust von Cherbourg befragen zu lassen. Dollmann wurde vorgeworfen, seine Pflichten vernachlässigt und damit direkt zu der Niederlage auf dem Cotentin beigetragen zu haben. Hitler befahl für den 29. Juni die Feldmarschälle von Rundstedt und Rommel zu einem persönlichen Treffen nach Berchtesgaden und forderte von Rundstedt auf, Dollmann vor ein Kriegsgericht zu stellen und aburteilen zu lassen. Als sich von Rundstedt weigerte wandte sich Hitler an Rommel und forderte diesen auf, Dollmann wenigstens seines Postens zu entheben. Da Rommel wusste, dass Dollmann seine Befehle so gut wie möglich ausgeführt hatte, er darüber hinaus den stark übergewichtigen Dollmann mochte, weigerte auch er sich, Dollmann zu opfern. Erst als beide Feldmarschälle wieder abgereist waren, nahm Hitler noch am selben Tag Kontakt mit dem Hauptquartier der 7. Armee in Le Mans auf und enthob Generaloberst Dollmann seines Postens. Sein Nachfolger sollte SS-Obergruppenführer Paul Hausser werden.

Ironie des Schicksals war, dass Generaloberst Dollmann, voller Sorge über die angelaufenen Untersuchungen, darüber hinaus gesundheitlich stark angeschlagen und den Strapazen der modernen Kriegsführung wohl nicht mehr ganz gewachsen, am 29. Juni, noch bevor er von seiner Absetzung erfuhr, in seinem vorgeschobenen Gefechtsstand in der Normandie einem Herzinfarkt erlag. Dollmann wurde am 2. Juli in Paris beigesetzt, am selben Tag übrigens, an dem Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt seines Postens als OB West enthoben und durch Generalfeldmarschall Günther von Kluge ersetzt wurde.

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